Projekt EA-MINT-BW

Zusammenfassung des Symposiums 2019

2. Symposium zu Eignungs- und Auswahlverfahren in den natur- und ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen am 7. November 2019 am KIT Karlsruhe

Möglichkeiten und Grenzen von Eignungs- und Auswahlverfahren standen im Mittelpunkt des 2. Symposiums am KIT in Karlsruhe. Prof. Alexander Wanner, Vizepräsident für Lehre und akademische Angelegenheiten am KIT, konnte dazu über 100 Teilnehmer begrüßen. Welche Wirkungen haben Eignungs- und Auswahlverfahren, welche Prognosekraft können sie entfalten, tragen sie dazu bei, die in den MINT Fächern noch immer hohen Studienabbrecherquoten zu mindern? In allen Beiträgen wurde das Spannungsfeld zwischen der Erwartung an Evaluierung und Validierung durch Studienverlaufsanalysen einerseits und den Grenzen des Datenschutzes andererseits aufgezeigt.

Einen Blick über die Grenze nach Österreich warf Martin Unger vom Institut für Höhere Studien, Wien. Dort kann der Studienverlauf im Hinblick auf Studienerfolg, -wechsel und -abbruch detailliert nachverfolgt werden. Die lebenslange Matrikelnummer gestattet es der österreichischen Hochschulstatistik den Zyklus von der Immatrikulation bis zum Eintritt – natürlich hochgradig anonymisiert – ins Berufsleben zu verfolgen. Die im Programm des Symposiums aufgenommene Frage, wie Hochschulen und wie die Politik auf die Ergebnisse reagieren, ließ ein zwiespältiges, wenngleich lebhaft diskutiertes Echo zurück. Lange Zeit mussten alle MaturantInnen (Studienberechtigte) in allen Studiengängen aufgenommen werden – was in nachgefragten Studiengängen zu einer extremen Überlast führte. Erst ab 2013 wurde den Hochschulen die Möglichkeit eingeräumt, Aufnahmeverfahren einzuführen. Auch in Österreich bleiben die Antworten, wie Hochschulen und wie die einzelnen Fakultäten auf die sehr differenziert vorliegenden Erkenntnisse z.B. zu Studienabbruch und -wechsel in den MINT Fächern reagieren, nahezu genauso vielfältig und heterogen wie im föderalen Nachbarland Deutschland. Gleichwohl haben Hochschulen und Politik in Österreich mit der langjährigen Studienverlaufsstatistik mehr Transparenz geschaffen.

Ein positives Beispiel, wie mit kompetenz- und eignungsbezogenen Verfahren in Ergänzung zur Abiturnote , Auswahl, Orientierung und Studienmotivation verbessert werden können, präsentierte Prof. Wolfgang Hampe vom Universitäts¬klinikum Eppendorf (UKE) für stav – Studierendenauswahl – Verbund – Medizin. Mehre standardisierte Interviews, situative Aufgabenstellungen und Gruppeninterviews aus dem Spektrum medizinischer Tätigkeiten erlauben es, sowohl psychosoziale Faktoren in einem hochstandardisierten Verfahren in die Eignungsfeststellung für das Medizinstudium einfließen zu lassen als auch kognitive Fertigkeiten. An dem vergleichsweise zeit- und kostenintensiven Verfahren (Multi-Mini- Interviews) sind neben Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeitern auch Studierende beteiligt. Positive Rückmeldungen der Betroffenen, das nachhaltige Engagement der Fachschaften und erste Ergebnisse hinsichtlich des Prognosepotentials des Verfahrens lassen für die Zukunft einiges erwarten.

Dass Auswahlgespräche Orientierung im und Identifikation mit dem Studium nachhaltig steigern können, belegte Prof. Edgar Dörsam vom Fachbereich Maschinenbau der TU Darmstadt unter Hinweis auf die dortigen Erfahrungen und Evaluationsergebnisse. In einem zweistufigen Eignungs- und Feststellungsverfahren werden die Studienberechtigten, die nicht vorab über hervorragende Abiturnoten zugelassen werden – das sind 49 % - eines jeden Studienjahrgangs, in Interviews auf ihre Studieneignung getestet. Damit können gezielt Rückmeldungen – z.B. zur Ergänzung von Vorkenntnissen – gegeben werden; vor allem aber stärkt das Verfahren Studienmotivation und Identifikation mit dem Fachbereich.

Der Datenschutzbeauftragte der Universität Heidelberg, Christoph Wassermann, sowie der Koordinator des Projekts EA-Mint-BW (EA=Eignung und Auswahl) des KIT wendeten sich gemeinsam der Frage der Evaluation von Projekten zum Studienverlauf im Verhältnis zu den Anforderungen des Datenschutzes zu, konkretisiert an Vorhaben der Förderlinie 4 - Auswahl- und Eignungsfeststellung. Ohne eine personenbezogene Betrachtung des Zusammenhangs zwischen Eignungs- und Auswahlverfahren, ergänzenden Angeboten der Studienvorbereitung und – begleitung mit den Studien- und Prüfungsergebnissen der ersten drei bis vier Semestern, bleiben Evaluationskonzepte Ankündigungen, die innerhalb der Projektlaufzeit nicht umzusetzen sind. Beide waren sich darin einig, die Zusammenarbeit zwischen den zahlreichen Projekten und dem Datenschutz auf eine andere Ebene zu heben. Es besteht die Chance bis zum Ende der Förderperiode 2020 eine Struktur zu etablieren, welche die von allen Seiten unterstützten Anforderungen des Datenschutzes mit einer Studienverlaufsbetrachtung auf der Ebene der jeweiligen Hochschule in Einklang bringt. Die DSGVO stärkt ausdrücklich die Möglichkeiten der Weiterverwendung von Daten für Forschungs¬zwecke und gibt Hinweise für eine stärkere Anwendung von Pseudonymisierung oder Verschlüsselung bei der Nutzung von Forschungsdaten und Big-Data-Anwendungen zur Erreichung eines angemessenen Datenschutzniveaus. Diese Möglichkeiten sollten genutzt werden, etwa durch Entwicklung von Konzepten zur Verwendung pseudonymisierter oder verschlüsselter Daten im Rahmen von Forschungsdateninfrastrukturen (z.B. über Datentreuhänder).

Zulassung zur Dualen Hochschule Baden – Württemberg bedeutet zugleich immer Feststellung der Studierfähigkeit und der Berufsfähigkeit. In dualen Studiengängen haben die Unternehmen die Entscheidung über die Auswahl der künftigen DHBW-Studierenden. Großunternehmen wählen dazu in mehr oder weniger aufwendigen assessment Verfahren ihre Kandidaten*innen aus. Kleine und mittlere Unternehmen haben zumeist andere Rekrutierungsstrategien, die der Auswahl künftiger Mitarbeiter*innen entsprechen. Hier ist der wesentliche Unterscheid zu den Hochschulen: Im Zweifel werden die Partnerunternehmen auf einen DHBW-Studierenden verzichten, wenn die Bewerber*innen nicht überzeugen. Um allen Unternehmenspartnern valide Möglichkeiten und Verfahren an die Hand zu geben, Bewerberinnen und Bewerber sowohl nach ihrer Berufs- als auch ihrer Studierfähigkeit auszuwählen, wurde das Projekts „Future Skills“ entwickelt, das von Gerda Schuster von der DHBW Mannheim vorgestellt wurde. Dual assessment ist das Stichwort, unter dem das Projekt läuft.

Prof. Timo Weidl, Universität Stuttgart, stellte den Eingangstest Mathematik vor, der im Rahmen des vom Land geförderten Projekts (EA-MINT BW) weiterentwickelt wurde. Nach übereinstimmender Einschätzung sind Defizite im Bereich Mathematik eine wesentliche Ursache für fachlich bedingte Studienabbrüche in den MINT Fächern. Dabei haben die Universitäten im MINT-Bereich in den BSc-Studiengängen eher ein Passungs-, denn ein Auswahlproblem. Mit der Diagnose des Kenntnisstands zu Studienbeginn sind Handlungsmöglichkeiten für Studierende, Dozenten verbunden. Zugleich werden standortübergreifende vergleichende Analysen z.B. zu den verschiedenen Arten der Hochschulzugangsberechtigung, Abiturjahrgang, Herkunftsbundesland, Wahl von Grund- und Leistungskurs ermöglicht. Die Perspektive ist ein Eingangstest Mathematik, der an mehreren Technischen Universitäten eingesetzt werden kann.

Aus der Vielfalt der online Self Assessmment (OSA) Angebote ragt das Self Assessment Projekt der RWTH Aachen (SAM) mit langjähriger Erfahrung (seit 2001), dem breiten Fächerangebot und der wissenschaftlichen Begleitung heraus. Seit 2012 ist die Teilnahme an einem fachspezifischen OSA in Aachen verpflichtend vor Studienbeginn nachzuweisen. Neben den Orientierungs-Self-Assessments, die die Studiengangwahl unterstützen, stehen Studiengangs/-feld spezifische Self-Assessments im Vordergrund, die in ihrer informationsvermittelnden und eignungsdiagnostischen Funktion ein unmittelbares Feed-back geben und damit die Integration in den Bewerbungs- und Studienprozess fördern. Ebenso wie auch beim Mathematik Eignungstest liegen Überlegungen nahe, das Verfahren an weiteren Hochschulen einzusetzen, was der Vertreter des SAM Teams, Herr Ralf Delzepich, nachdrücklich unterstützt.

Benjamin Goecke von der Universität Ulm ergänzte mit seinen Ausführungen das Thema Eignungsdiagnostik. Es braucht Auswahlinstrumente, die Eignung und Neigung wie auch die Anforderungen in den einzelnen Studiengängen berücksichtigen. Wenn es darum geht, einen erfolgreichen Studienverlauf zu prognostizieren, steht eine Fülle von Auswahlinstrumenten bereit, von denen sich die am besten eignen, die kognitive Leistungen messen. Studierfähigkeitstests in Verbindung mit der HZB sind hier besonders valide. Was Validität und Akzeptanz der Verfahren betrifft, so haben Auswahlgespräche eine geringere Validität, genießen aber eine höhere Akzeptanz, was wiederum bei Studiengängen mit einem ausgeglichenen Verhältnis zwischen Bewerbern*innen und Studienplätzen zu berücksichtigen wäre.

Wie ein roter Faden zog sich das Thema Datenschutz durch das Symposium. Die Anforderungen, die in Deutschland im Hinblick auf Datensicherheit, Schutz persönlicher Daten und Anonymisierung zu stellen sind, erläuterte Christoph Wassermann, Datenschutzbeauftragter der Universität Heidelberg. Er verband dies mit dem Hinweis, für Projekte, die z.B. Verlaufskontrolle von Studienleistungen thematisieren, den Datenschutz und die Anonymisierung persönlicher Daten von vornherein mitzudenken. Unter dem Stichwort „Datentreuhänder“ könnten institutionelle Vorkehrungen getroffen werden, die einerseits den Schutz persönlicher Daten garantiert, andererseits aber auch den Zugang zu anonymisierten Daten z.B. zum Studienverlauf ermöglicht. Gläserne Studierende, darin waren sich alle Diskutierende einig, wolle niemand; aber genauere Angaben zum Studienverlauf seien gerade in den MINT Fächern z.B. im Hinblick auf Studienabbruch oder die Leistungen bestimmter Gruppen, wie Frauen, Ausländer etc., erforderlich.

Die Novellierung des Hochschulstatistikgesetzes im Jahre 2016, die nun auch in Deutschland eine umfassende Studienverlaufsstatistik ermöglicht, weist hier eine besondere Perspektive auf. Maximilian Neumann vom Statistischen Bundesamt stellte die Initiative vor, die nun auch in Deutschland differenzierte Aussagen u.a. zu Studienerfolg, -abbruch und -wechsel erlaubt.

Die Abschlussdiskussion, geleitet von Prof. Hansgeorg Binz, ging auf dann noch einmal intensiv auf das Thema des Datenschutzes ein. Es ist bedenklich, wenn jedes Projekt mit dem jeweilig zuständigen Datenschutzbeauftragten, die komplexen Verfahren und Prozesses isoliert abstimmt, zumal innerhalb der Projektlaufzeit Maßnahmen bezogen auf eine Veränderung des Studienverlaufs nicht mehr überprüft werden können.

In seinem Schlusswort kündigte Prof. Wanner die Fortsetzung der Symposiumreihe im kommenden Jahr an. Er sprach sich nachdrücklich dafür aus, dann den Übergang vom Bachelor- ins Masterstudium zu thematisieren. Er dankte allen Teilnehmern für engagierte Mitarbeit und Michael Kurth vom KIT/ Projekt EA MINT BW für die Organisation sowie Diana Pachur für die gelungene Moderation der Veranstaltung.

Die Zusammenfassung als PDF-Datei zum Download finden Sie hier.